Das Pilgerfieber hat mich vor vier Jahren erfasst. Und wie es mit Fieber so ist, hat es sich seither in immer wiederkehrenden Schüben gezeigt. Was zeichnet sie aus, meine - genauer gesagt, unsere - Art des Pilgerwanderns auf dem Jakobsweg? Denn wir sind als Paar unterwegs.
Als Freiberuflerin (mit meinem gleichfalls unabhängigen Ehemann und Wanderpartner an der Seite) sind mir diese Auszeiten in der Parallelwelt zu einem Schatz geworden. Meine Oasen. Sie sind wie persönliche Meilensteine im Jahresablauf, der im Alltag von Familienthemen rund um unsere beiden jugendlichen Söhne geprägt ist und natürlich von den Freuden und Bürden des selbstständigen beruflichen Daseins.
Pilgern auf Raten und zeitweilig auf Umwegen
Die lange Strecke nach Santiago de Compostela haben wir seit 2017 in jeweils acht- bis zehntägige Etappen unterteilt. Bislang haben wir auf diese Weise Frankreich en détail kennengelernt: Orte wie Gy und Nasbinals sind reichlich unbekannt, Conques und Le Puy en Velais dagegen rufen bei manchem eine Resonanz hervor, haben sie doch eine Kathedrale und wundersame Geschichten aus ihrer langjährigen Vergangenheit zu bieten. 2020 hat den Wanderblick auf die Jakobus-Route vor unserer Haustür gelenkt. Ein Rückschritt? Ein Umweg? Nein, für mich einfach anders. Auch wenn ich unsere oberbayerische Umgebung recht gut kenne, war das stundenlange eigenbeinige Durchschreiten der Natur ein anderes Eintauchen. Eine intensivere, tiefere Erfahrung. Besonders, wenn mich der Weg durch unbewohntes, unerschlossenes Gebiet führt.
Stille im Außen wie im Innen
Wirkliche Stille zu erfahren, wo gelingt mir das in meinem Leben? Geräusche und Töne begleiten mich und kleiden das Ambiente aus – mal angenehm klangvoll, vielfach lästig und überflüssig. Auf der Straße, am Schreibtisch, im Wohnzimmer, in Geschäften, im Online-Workshop. Ich bin mit meinen Mitmenschen in Kontakt, doch wann mit mir selbst? Das Alleinsein – zumal das Alleinsein in Stille – muss ich inszenieren. Der Weg durch Landschaften erlaubt es mir abzuschalten, und das Grün um mich herum tut immer wieder gut. Mein Blick wird weiter, schweift absichtslos und lässt mich verweilen.
In Kontakt mit mir und dem Leben
Die Wegmarkierungen mit der Jakobsmuschel gestatten, dass wir einfach gehen können und nur ab und zu den Kartenausschnitt zu Rate ziehen müssen. Die Bewegungen und der gesamte Prozess werden weniger verstandeslastig, dafür reflexhafter. Und ja, ich komme für Phasen auch in einen meditativen Zustand. Verlangsamen bedeutet hinspüren können, was in meinem Inneren anklopft und sich räuspert. Welche Facette meiner selbst zeigt sich da? Ich darf neugierig und frohgemut schauen und erforschen.
In unerwarteten Momenten zeigt sich beim genaueren Betrachten ein Schmetterling, der sich vorher nicht zu erkennen gab. Vielleicht sogar mit Antworten zu meinen beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten.
Entwicklung heißt Weitergehen
So schön das Stehenbleiben ist, um den Augenblick zu kosten und wertzuschätzen, so deutlich kommt in mir auch das Signal zum Weitergehen. Wie entsteht mein persönlicher Weg? Das frage ich mich öfters. Denn ich kann nicht genau sagen, ob es ein Impuls von innen oder von außen ist. Jedenfalls nehme ich ein leises Zeichen wahr, wie ein Stups, welcher mir versichert, dass da noch etwas wartet. Ich nehme also wieder Kurs auf und freue mich auf die nächste Weggabelung. Beinhaltet sie eine Herausforderung? Brauche ich meinen Mut, meine Intuition oder schlicht Tatkraft?
Auf zur neuen Erfahrung! Auf zum nächsten Projekt!
Danke an Silke Bicker, Texterkollegin, für den Aufruf zu Blogbeiträgen unter dem Titel „Vom Wert der Natur in der Selbstständigkeit“